Psychotherapie

 

Begegnung auf Augenhöhe

 

Wortgenau überesetzt bedeutet Psychotherapie „Behandlung der Seele“.

Die Frage, was für einen Menschen „behandlungswürdig“ ist, ist nach meinem Verständnis sehr persönlich und individuell. Die Beweggründe, die einen Menschen dazu bringen, sich auf den Weg der „Heilung seiner Seele“ zu begeben, sind höchst unterschiedlich.

 

Natürlich gibt es in allgemein anerkannte objektive Kriterien, wann ein Verhalten oder Erleben als behandlungswürdig definiert wird, aber letztendlich entscheidet der Mensch selbst, inwieweit er seine „Symptome“ als einschänkend, störend oder veränderungswürdig empfindet. 

 

Psychotherapie bedeutet für mich, mich mit dem Menschen, der zu mir kommt auseinander zu setzten. Mit ihm gemeinsam zu schauen, wo er sich Hilfestellung erhofft, ein Ziel zu überlegen, wohin er sich entwickeln möchte.

Was braucht mein Leben, damit es so richtig gut ist?

Was soll sich ändern?

Was hält mich davon ab? 

Was kann man dafür tun?

Aber auch zu erkennen, was denn schon wirklich gut gelungen ist. Ich habe als Therapeutin auch nicht immer den Masterplan parat, vielmehr vertrete ich die Haltung, dass jeder Mensch der absolute Experte für sein eigenes Leben und seine Psyche ist. Sie wären in Ihrem Leben nicht so weit gekommen, hätten Sie nicht auch eine breite Palette an Ressourcen und Fertigkeiten dabei. Diese gilt es zu erkennen, zu würdigen und auch zu nuten auf dem Weg der Entwicklung.

 

Psychotherapie heisst für mich, Ihr psychisches Wachstum (im Sinne persönlicher Weiterentwicklung) zu unterstützen. Auflösung alter, undienlich gewordener Glaubenssätze und Lebensstrategien durch Aktivierung und Entfaltung neuer Strategien, um damit auf ein von Sinn getragenes, selbstverwirklichendes, authentisches Leben zuzusteuern ...

 

Eine gemeinsam geschaffene, vertrauensvolle Atmosphäre ist notwendig, um Altes und manchmal Schmerzhaftes anzuschauen, zu würdigen und am Ende loszulassen, so dass der Klient sich wieder voll und ganz auf sein gegenwärtiges Leben einlassen kann.

 

Eine Klientin beschrieb das wie folgt:

„Therapie ist für mich ein Raum, wo ich sein darf, wie ich bin. Ohne emotionales Make up, wo ich liebevoll sehen und anerkennen kann, was ist ... ohne bewertet oder kritisiert zu weden.

Hier wird ein Raum erschaffen, wo ich schonungslos alles sagen darf, was in mir ist, wo es nur um mich geht, wo ich niemandem gerecht werden muss oder mich rechtfertigen muss. Und mein Gegenüber setzt sich bewusst, konzentriert, offen mit mir auseinander.

Und so konnte ich mich immer weiter damit auseinandersetzen, was mein Leben braucht, damit es richtig und lebenswet ist“

oder:
... wie man mit einer Wagenladung voller Mist einen wundervollen Garten bestellt...

 

Schon immer wussten Menschen, Dinge in Geschichten und Metaphern zu vermitteln.
Bei meinen Recherchen sties ich auf folgende Geschichte von Ajahn Brahm....

 

Eine Wagenladung voller Mist

 

Im Leben gibt es immer auch unangenehme Dinge - wie beispielsweise Klassenletzter zu werden. So etwas kann jeden überkommen. Der einzige Unterschied zwischen einem glücklichen Menschen und einem Deprimierten besteht in der Reaktion auf Unheil.

Stellen Sie sich jetzt vor, dass Sie mit einem Freund einen herrlich entspannten Nach-mittag am Strand verlebt haben. Und als Sie nach Hause kommen, entdecken Sie, dass irgendjemand eine ganze Wagenladung voller Dung direkt vor Ihrer Haustür abgeladen hat. Über diesen Misthaufen sollten Sie Folgendes wissen:

1. Sie haben ihn nicht bestellt. Es ist nicht Ihre Schuld.
2. Sie haben ihn jetzt am Hals. Niemand hat gesehen, wer ihn abgeladen hat, also können Sie auch niemanden auffordern, ihn wieder wegzubringen.
3. Er ist dreckig, widerlich und ekelhaft. Sein Gestank zieht langsam durch Ihr ganzes Haus und ist so unerträglich, dass Sie kotzen könnten.

In dieser Metapher steht die Wagenladung voller Mist für all die traumatischen Erfahrungen, die das Leben über uns auskippt. Genau wie bei der Mistladung müssen wir auch drei Dinge über die Katastrophe in unserem Leben wissen:

1. Wir haben sie nicht bestellt. Wir fragen: Warum ich?
2. Wir haben sie am Hals. Keiner, nicht einmal unsere besten Freunde, kann sie uns wegnehmen (obwohl sie es vielleicht versuchen).
3. Sie ist grauenvoll, ein solcher Zerstörer unseres Glücks, dass der Schmerz unser ganzes Leben ausfüllt. Sie ist einfach nicht zu ertragen.

Wenn man eine solche Wagenladung voller Mist am Hals hat, gibt es zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Die erste besteht darin, dass wir den Mist mit uns herumschleppen. Wir stecken etwas davon in unsere Taschen und unter unser Hemd. Ja, wir schütten sogar etwas davon in unsere Hosen. Und wenn wir dann mit diesen Miststücken herumlaufen, stellen wir fest, dass wir eine Menge Freunde verlieren! Sogar die besten Freunde scheinen sich nicht mehr so oft sehen zu lassen.

Den Mist herumtragen ist eine Metapher für das Versinken in Depressionen, für negative Gedanken oder Wut. Eine ganz natürliche Reaktion auf Widrigkeiten des Lebens. Aber wir verlieren viele Freunde, und es ist ja völlig verständlich, dass sie nicht mehr viel mit uns zu tun haben wollen, wenn wir dauernd wie sieben Tage Regenwetter herumlaufen. Schlimmer noch, der Misthaufen wird dabei nicht abgetragen, sondern reift gemütlich heran, sodass sein Gestank immer unerträglicher wird.

Zum Glück gibt es einen zweiten Weg. Wenn jemand eine Wagenladung voller Mist vor unserer Haustür abkippt, dann entfleucht uns ein Seufzer, und wir machen uns an die Arbeit. Schubkarre, Mistgabel und Spaten werden hervorgeholt. Wir schaufeln den Mist in die Karre, fahren sie hinters Haus und verbuddeln das Zeug im Garten. Das ist eine anstrengende und ermüdende Arbeit, aber wir wissen, dass uns keine andere Wahl bleibt. Manchmal schaffen wir nur eine halbe Schubkarre am Tag. Doch wir unternehmen etwas gegen das Problem, anstatt so lange mit ihm zu hadern, bis wir schließlich in der Depression landen. Tagein, tagaus laden wir Dung in die Schubkarre, und jeden Tag wird der Haufen ein Stückchen kleiner.

Manchmal brauchen wir mehrere Jahre, aber irgendwann kommt ein Morgen, an dem der Misthaufen vor dem Haus gänzlich verschwunden ist. Außerdem hat sich in einem anderen Teil unseres Gartens inzwischen ein wahres Wunder ereignet. Die Blumen entfalten sich zu ihrer vollsten Pracht, und ihr Duft erfüllt die ganze Umgebung, sodass Nachbarn und sogar Passanten vor Freude zu lächeln beginnen. Der Obstbaum in der Ecke kippt beinahe um, so reich ist er mit schmackhaften Früchten gesegnet. Er trägt so viele, dass wir unseren Nachbarn und sogar Vorübergehenden von diesen Wunder-früchten abgeben können.

Den Mist eingraben, ist auch eine Metapher. Damit heißen wir das Unheil als Dünger des Lebens willkommen. Die Arbeit müssen wir schon allein erledigen, keiner kann uns dabei helfen. Aber wenn wir den Mist tagaus, tagein in den Garten unseres Herzens eingraben, können wir langsam den Berg voller Schmerz abtragen.

Vielleicht werden wir dafür Jahre benötigen, aber der Morgen wird anbrechen, an dem wir den Schmerz in unserem Leben nicht mehr sehen und merken, dass sich in unserem Herzen ein Wunder ereignet hat. Blumen der Güte stehen in voller Pracht. Der Duft der Liebe erfüllt die Umgebung, unsere Nachbarn, unsere Beziehungen und sogar die Menschen, die am Garten vorübergehen. Dann neigt sich der Baum der Weisheit in der Ecke zu uns herab, überladen mit den süßen Einsichten in das Wesen des Lebens. Wir verteilen diese köstlichen Früchte großzügig, und sogar der zufällige Passant kriegt welche ab, auch wenn wir das gar nicht beabsichtigt haben.

Wenn wir den Schmerz der Tragik erfahren, seine Lektion gelernt und unseren Garten angelegt haben, können wir bei großen Tragödien einander umarmen und einfach sagen: Ich weiß. Und der andere wird begreifen, dass wir ihn wirklich verstehen. Das Mitgefühl setzt ein. Wir zeigen ihm die Schubkarre, die Mistgabel, den Spaten und ermutigen ihn zu grenzenlosem Eifer. Wir könnten diesem Menschen allerdings unmöglich helfen, wenn wir nicht schon zuvor unseren eigenen Garten bestellt hätten.
Ich habe zahlreiche Mönche kennen gelernt, die großartig meditieren können, den Widrigkeiten friedlich, gelassen und heiter begegnen. Doch nur wenige von ihnen sind große Lehrer geworden. Ich habe mich oft gefragt, woran das liegt.

Heute glaube ich, dass jene Mönche, die es relativ leicht hatten und nur kleine Misthaufen wegschaffen und eingraben mussten, keine Lehrer wurden. Aber jene, die mit besonders großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, die den Mist in aller Ruhe wegräumten und mit einem fruchtbaren Garten belohnt wurden, stellten sich als die großen Lehrer heraus. Alle Mönche waren weise, gelassen, heiter und voller Mitgefühl, aber diejenigen mit den größeren Misthaufen konnten der Welt mehr mitteilen. Vor der Haustür meines Lehrers Ajahn Chah, für mich der größte Lehrer überhaupt, sind früher wahrscheinlich Mistladungen unvorstellbaren Ausmaßes ausgekippt worden.

Die Moral von dieser Geschichte könnte folgendermaßen lauten: Wenn Sie der Welt dienen, dem Pfad des Mitgefühls folgen wollen, dann sollten Sie angesichts der nächsten Tragödie in ihrem Leben vielleicht sagen: Aber hallo! Endlich wieder mehr Dünger für meinen Garten!

 

Aus: Ajahn Brahm: „Die Kuh, die weinte“, München (Lotos) 2004

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Lebensraum-Trier - Homepage von Dipl.-Psychologin Tanja Mayer